Die FAZ hatte hierzulande einen Aufruf von über 500 internationalen Schriftstellern veröffentlicht, welche sich für die Verteidigung der Demokratie im digitalen Zeitalter einsetzen wollen.
Kurz darauf setzten Reflexe von Netzaktivisten ein, die an das bisherige Verhalten der schreibenden Intellektuellen in Sachen Netzpolitik erinnerten, das vor allem im letzten Jahr zu wünschen übrig ließ. Auf die Schelte hin riefen jedoch bekannte Netzaktivisten zur Ordnung.
Bevor auch mich jemand zur Ordnung ruft, verstecke ich mich hinter meinem früheren Ausbilder Prof. Dr. Hoeren, der am Dienstag auf einer Veranstaltung den leider nun einmal terminologisch und juristisch misslungenen Schriftsteller-Aufruf fachlich als naiv kritisierte:
- Überwachung ist nicht „Diebstahl“. (Dieser Vergleich ist ähnlich sinnlos wie der Begriff „Raubkopie“, da er Sachenrecht mit Informationsrecht vermengt.)
- Die Forderung, dass jeder Bürger das Recht haben müsse, mit zu entscheiden, in welchem Ausmaß seine persönlichen Daten gesammelt, gespeichert und verarbeitet werden und von wem, schießt ein bisschen über das Ziel hinaus, da es nun einmal gesetzliche Befugnisse zum Datensammeln gibt. (Hätte jeder ein Mitspracherecht als Voraussetzung hierzu, könnten wir die Polizei, Staatsanwaltschaften, Finanzämter, das Wahlregister und eigentlich so ziemlich jede Behörde abschaffen …)
- Auch die Unschuldsvermutung, an welche die Schriftsteller „erinnern“, kann Geheimdienste schwerlich vom Datensammeln abhalten. (Im Gegensatz zu Polizei, Staatsanwaltschaft und Gerichten prüfen Geheimdienste keine (Un-)Schuld.)
Hinzuzufügen wäre noch, dass sich der Text auf die „Menschenrechte“ beruft. In der UN-Menschenrechtscharta steht aber (leider) nichts vom Recht auf Freiheit vor Überwachung. So etwas wie die deutschen Grundrechte oder die den US-Bürgern verbrieften Freiheitsrechte, aus denen man etliche Abwehrrechte herleiten kann, gibt es nicht in jedem Land. Der vormaligen Kolonialmacht „Vereinigtes Königreich“ ist nicht einmal Pressefreiheit bekannt.
Die fachlichen Defizite des „Schriftsteller-Aufrufs“ wären vermeidbar gewesen. Man hätte nur mal einen halbwegs Rechtsgelehrten nett fragen müssen.
Weiterhin fällt auf, dass sich in Deutschland mit gerade einmal 79 Schriftstellern erstaunlich wenig für den zweifellos ehrenwert gemeinten Aufruf begeisterten – allein auf der Frankfurter Buchmesse gibt es jährlich über 7.000 Aussteller. Stichproben der mir persönlich überwiegend unbekannten „Schriftsteller“ in der Liste ergaben, dass selbst die Unterschreibenden so prominent und schriftstellend nun auch nicht sind. Schade eigentlich.
UPDATE:
https://www.youtube.com/watch?feature=player_embedded&v=B6DXwx18g4Q
Bei Frau Menasses Qualifikation des Rechts auf Privatsphäre und des Briefgeheimnisses als „hart erkämpfte Menschenrechte“ handelt es sich eher um eine politische Forderung als um eine juristische Beschreibung des gesetzlichen Ist-Zustands. Hierzulande gibt es ein Grundrecht auf Brief- und Fernmeldegeheimnis, auch andere Staaten sehen es als fundamentales Verfassungsrecht an, aber ein „Menschenrecht“ ist das Briefgeheimnis bislang nicht. Auch die Einschränkung der freien Meinungsäußerung ist nicht das Thema der NSA, im Gegenteil sind die ja gerade an unserer Meinung interessiert (auch wenn kundige Überwachte insoweit vorsichtiger werden).
Markus Kompa hat den Aufruf der Schriftsteller mal … | sb'log
[…] Markus Kompa hat den Aufruf der Schriftsteller mal juristisch gewürdigt. Das Ergebnis ist leider nicht so erfreulich. Aber da die Aktion sehr öffentlichkeitswirksam ist, plädiere ich trotzdem dafür, den Appell zu unterstützen. […]
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